Quelle: Iris Oberholzer / www.schlussgang.ch
Haben Sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, dass an einem Schwingfest kein Eichenlaub mehr verteilt werden könnte? Nein? Dann sollten Sie das jetzt tun! Denn der Kranz- und Zweighersteller meldete ein Lieferungsproblem – der edle Kopfschmuck reiche noch bis Ende Jahr. Oder hat er eine Lösung parat?
Keine Kränze und Zweige mehr an Schwingfesten? Unvorstellbar, dass die Sägemehlathleten für ihre Platzierung im vorderen Ranglistendrittel kein Eichenlaub mehr erhalten sollen. Leider könnte dies aber schon bald Realität werden: Denn der Kranzhersteller, die Kuert Druck AG Langenthal, gab bekannt, dass ihr ein wichtiges Material für Kränze ausgeht: Es herrscht Eichenblätternotstand. Was für ein Schock!
Geht ein wichtiges Ritual verloren?
Empörung herrschte unter jenen Zuschauern, die darauf angesprochen wurden. «Keine Kränze oder Zweige mehr? Keine Option!» Es liess sich aber unter den Athleten feststellen, dass ein Kranz für jeden eine andere Bedeutung hat. Die einen sammeln restlos alles wie zum Beispiel der Berner Eidgenosse Thomas Sempach, andere Sportler behalten nur die Schleife. «Für die Jungen ist ein Zweig schon noch wichtig. Für die Aktiven würde das wohl weniger ein Problem sein, wenn es keine Kränze mehr gäbe», so Roland Gehrig, Technischer Leiter der Berner Schwinger und selber mehrfacher Zweig- und Kranzgewinner. Auch ein ESAF-Eichenlaub gehört zu seinem Palmarès. «Die Erwachsenen verstehen eher, wo die Problematik ist.» Gehrig lässt mitteilen: «Falls es tatsächlich keine Eichenblätter mehr für Kränze gibt, spende ich gerne meine für die Jungen!»
Was ist passiert?
Schön wäre dieser Spendegedanke, aber schlicht unmöglich, dass ehemalige Schwingsportler ihre Kränze auseinandernehmen, um an das begehrte Gut zu kommen. Doch wie kam es überhaupt zum Blätternotstand?
Seit 1998 stellt die Kuert Druck AG in Langenthal Festkränze selber her, zuvor wurden sie von der Vorgängerfirma mit Kränzen beliefert. Und bis zur Coronazeit lief das Geschäft. Doch dann kam die Meldung aus Deutschland, wo die Kranzblätter herkamen, dass die bisherige Lieferantin ihr Angebot einstelle und es einer Nachfolgefirma übergab. «Die Nachfolgefirma war mit den Qualitätsansprüchen überfordert. Das Laub hatte nicht mehr die natürliche Erscheinung und die Verarbeitung war sehr schlecht bis unbrauchbar. Wir hatten sehr viele negative Rückmeldungen aus dem ganzen Team, das Festkränze bindet. Auch wurden die Liefertermine nicht eingehalten und plötzlich war auch niemand mehr erreichbar», sagt Reto Kurt von der Kuert Druck AG. Vom Lieferantenproblem ist natürlich nicht nur der Schwingsport mit seiner Kranzverteilung am Ende eines Festes betroffen – sollten tatsächlich keine Kränze mehr hergestellt werden können, weil das Material fehlt, bangen auch andere Sportarten um ihre Auszeichnungen.
Bittere Realität
«Kranzlos? Trostlos!», so Peter Bruhin, ehemaliger NOSV-Fotograf. Der Eidgenössische Schwingerverband war natürlich ebenfalls wenig erfreut über diese Meldung. «Es gibt verschiedene Hersteller in der Schweiz, aber diese Firma liefert sehr viele Festauszeichnungen», so Rolf Gasser, Leiter der ESV-Geschäftsstelle. «Die Firma in Langenthal ist mit viel Herzblut dabei, wir müssen sie unterstützen», so Gasser. «Wir hoffen, dass sie nicht aufgeben und es in der Schweiz halten können.»
Der Perfektionist
Reto Kurt und sein Team legen Wert auf Blätter mit einer natürlichen Erscheinung. «Wir haben auch in China nach geeigneten Eichenblättern gesucht. Doch leider sind die Angebote zu spät eingegangen und die Lieferung wäre nicht rechtzeitig eingetroffen», erklärt Kurt, der wieder ohne Kranzblätter und ratlos zurückblieb. «Ich durchlebte viele schlaflose Nächte, denn Dutzende von Festkranzaufträgen waren draussen.»
Der Drucker fand die Lösung
Trotz allem gab man nicht auf. Ziel war es, das Material für die Blätter komplett selber herzustellen. «Zuerst im Digitaldruck, aber diese Ergebnisse waren nicht zufriedenstellend. Leuchtgrün, zu dunkel, eintönig.» Doch dann hatte André Michel von der Digital Druckcenter Langenthal AG eine Idee. «Er meinte, dass wir ähnliche Blätter selber herstellen können», ergänzt Reto Kurt. Die Kranzblätter werden nun auf einer Offsetmaschine auf grünes Papier mit einem Farbenspiel gedruckt. Anschliessend wird auf einer alten Buchdruckmaschine von Heidelberg das Blatt mit einer leicht eingefärbten Prägung versehen, um die Blattstruktur zu simulieren, und zum Schluss ausgestanzt. Ein leichter Lack sorgt dafür, dass die Kränze zwar nicht wasserfest, aber wasserabweisend sind. «So überleben sie auch eine Rangverkündigung im Regen.» Mit der VEBO Genossenschaft, einem Unternehmen der beruflichen und sozialen Inklusion für Menschen mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung, wurde der richtige Partner gefunden fürs Bekleben der rund 200 000 benötigten Kranzblätter pro Jahr. Gefragt ist Qualitätsarbeit: «Wie schön ist es doch für einen Jungschwinger, wenn er einen Zweig in Händen hält, der auch anständig aussieht!»
Akzeptanz für Kränze stärken
«Das Material ist sehr teuer geworden. Aber es geht nicht um den Preis, es geht mir darum, Akzeptanz und Wertschätzung zu schaffen. An Schwingfesten dreht es mir manchmal fast das Herz um, wie die Kränze behandelt werden. Sie liegen in einer grossen Zeine und werden zerquetscht», sagt Reto Kurt.
Einen etwas liebevolleren Umgang, wenigstens auf dem Schwingplatz, würde auch Caroline Aeschlimann schätzen. Kein Blatt sitzt mehr schief auf den Zweigen und Kränzen, die ihren Arbeitstisch verlassen. «Ich liebe meine Arbeit, auch wenn die Drähte in die Hände schneiden.» Stolz dürfen sie sein, eine Lösung gefunden zu haben.
Die schmucken Blätter
Festkränze gibt es in den Ausführungen Eiche mit Eicheln sowie Lorbeer und Olive mit Beeren. Ein Kranz oder Zweig war und ist immer noch reine Handarbeit. Seit mehr als 50 Jahren wurden die Blätter in Deutschland für die Festkränze in der Schweiz hergestellt. Die einzelnen Blätter wurden in eine Stanzform gepresst, der Papierdraht aufgeklebt, dann in Wachs und Paraffin getaucht, um sie wetter- und schweissfest zu machen. Bis zu 100 Frauen erledigten dies in Heimarbeit. Eine automatisierte Drahtleimmaschine wäre damals und heute zu teuer gewesen.
Die Schleife
Aber nicht nur die Kränze sind Handarbeit, sondern auch die Schleife. Nachdem ein entsprechendes Band zugeschnitten worden ist, wird die Aufschrift mit Metallbuchstaben gesetzt und mit einer Folie geprägt, die Flügel und Maschen auf die Schliesse geheftet und hinten von Hand mit Faden zugenäht. Zum Schluss werden die Goldfransen mit der Nähmaschine angenäht.
Riesige Produktionszahlen
Für eine Kranzform (Doppelzweig) braucht es 26 Blätter – in kleiner, mittlerer und grosser Ausführung. Rund 20 Minuten werden benötigt, um aus allen Einzelteilen (Blättern, Eicheln, Papierdraht und Schleife) einen einzigen edlen Kopfschmuck herzustellen. Ein Kranz (vgl. Bild Seite 5) ist für CHF 28.50 erhältlich, einer mit goldenen Blättern für ein Jubiläum kostet etwas mehr. Pro Jahr werden bei der Kuert Druck AG rund 200 000 Blätter verarbeitet. Insgesamt werden pro Jahr über 11 000 Zweige und Kränze für verschiedene Anlässe produziert, die Hälfte davon für die Schwingfeste.